Interview mit Fritz Schmid, festangestellter Fahrer des nationalen Pferdesportzentrums Bern (NPZ)

Fritz Schmid, Fahrer des NPZ Bern

  • Teil I Ausbildung

 

 Die geeignete Herangehensweise an die Ausbildung von Reiter/Fahrer und Pferd wirft stets viele Fragen auf. „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, sagte bereits der griechische Philosoph Sokrates (Apologie des Platons). Unser Streben sich noch mehr Wissen anzueignen resultiert aus der immer wiederkehrenden Erkenntnis um das eigene Nichtwissen in jeder neuen Ausbildungsstufe. Je tiefer wir uns in das Thema Ausbildung einarbeiten, desto intensiver wird der Wunsch nach mehr Informationen und noch mehr Wissen. Wir befinden uns in einem stetigen Lernprozess, welcher durch eigene Erlebnisse und den daraus resultierenden Erkenntnissen stetig voranschreitet. Literatur und Medien liefern immer neue Denkanstöße, zeigen sicherlich auch Lösungsansätze auf. Die Theorie ist jedoch nicht immer eins zu eins in die Praxis übertragbar. Von unschätzbarem Wert ist für uns daher der Austausch mit erfahrenen Pferdemenschen, die uns an ihren oft über Jahrzehnte erworbenen Erfahrungen teilhaben lassen.

Dabei zeigte sich, dass die Kernaussagen von verschiedenen, erfahrenen Pferdemenschen in großen Teilen übereinstimmen. Dabei ist es egal, in welcher Sparte sich dieser Pferdemensch spezialisiert hat.

Um einen Ausgleich zum Westernreiten zu schaffen, wollte Tanja ein paar Fahrtrainingseinheiten einbauen. Im NPZ (Nationales Pferdesport Zentrum) fand Tanja den großartigen Fahrlehrer Fritz Schmid. Für uns als Feld-, Wald- und Wiesenfahrer war es spannend, dass es beim Fahrtraining um dieselben Themen wie beim Reiten ging: Fahren im Gelände, Straßenverkehr, Fahren auf dem Platz, das Pferd auf der Figur halten können, lösen können und die Tragkraft des Rückens zu aktivieren.

1. Wie gehen Sie an ein ihnen unbekanntes Pferd heran und wie gliedert sich die Ausbildung zum Fahrpferd?

Als Erstes erfolgt eine Eintrittsmusterung in der hauseigenen Veterinärabteilung des NPZ. In dieser werden äußerer Merkmale, Pflegezustand und Gesundheitszustand aufgenommen. Nach dieser Untersuchung hat das Pferd einen Tag Boxenruhe, um am neuen Ort anzukommen. Das Pferd wird beobachtet und diese ersten Beobachtungen geben schon Aufschluss darüber, wie sich das Pferd im Umgang verhält.

Am zweiten Tag wird das Pferd aufgeschirrt und von einer Person herumgeführt, während eine zweite Person, die langen Zugstränge in der Hand hinterherläuft. So wird das Pferd im Areal herumgeführt bis es das Geschirr und die Zugstränge akzeptiert und die Übung mit einem positiven Erlebnis abschließen kann.

Am dritten Tag wird mit einem erfahrenen Pferd an einen schweren eisenbereiften Wagen angespannt. Die Geräusche der Eisenbereifung lösen Unsicherheit bei den unerfahrenen Pferden aus. Diese Schrecksekunde bewirkt, dass das junge Pferd sich dem gelassenen Lehrmeister anschließt und sich auch in den folgenden Ausbildungseinheiten an dem Lehrmeister orientiert und immer gelassener wird. Hier macht man sich den Herdeninstinkt zu Nutze. Das auszubildende Pferd wird rechts und links zweispännig gefahren bis es Vertrauen gefasst hat. Dem NPZ ist es besonders wichtig, die Pferde auch dem Straßenverkehr auszusetzen, denn die Alltagstauglichkeit der Pferde steht bei der Grundausbildung im Vordergrund. Diese Herangehensweise ist bei allen Ausbildungspferden gleich. Die Zielsetzung des Besitzers ist maßgebend für die Ausrichtung der Ausbildung und wird in Gesprächen immer wieder abgeglichen.

Anmerkung: Der Standort des NPZ ist am Stadtrand von Bern (Hauptstadt der Schweiz). Die Pferde werden dort im Stadtverkehr gefahren und geritten.  

2. Wie würden Sie die Schwerpunkte und Unterschiede in der Ausbildung von jungen Pferden, erfahrenen Pferden und Korrekturpferden beschreiben?

Das junge Pferd macht im Normalfall große Fortschritte während der Ausbildung. Beim Korrekturpferd führten äussere Einflüsse dazu, dass das Pferd mit einer Situation nicht mehr zurechtkommt. Dies wird auch immer im Gehirn des Pferdes verankert bleiben, dessen sollte sich der Menschen bewusst sein. Der Ausbildungsaufbau beim Korrekturpferd wird genau gleich durchgeführt wie beim grünen Pferd. Die Besitzer müssen in die Ausbildung einbezogen werden und bewältigen unter Anleitung gemeinsam mit ihrem Pferd die „schwierigen Situationen“. Beim erfahrenen Pferd muss der gegenwärtige Ausbildungsstand erfasst werden. Hat es einen Feldtest absolviert, wurde es danach gefahren oder hatte es eine längere Pause?

Wenn nach dem Feldtest nichts mehr geschieht, wird es manchmal schwierig. Mit dem Alter wird das Pferd stärker im Kopf, die Ausbildung sollte intensiviert werden (dem Alter und dem Ausbildungsstand entsprechend). Die Lernschritte werden kleiner, je weiter die Ausbildung fortschreitet. Kein Pferd wird immer besser. Nach einem Fortschritt kommt irgendwann auch mal ein Leistungsplateau oder sogar Rückschritte. Je weiter ein Pferd ausgebildet wird, desto kleiner sind die Schwankungen aber umso wichtiger ist es dranzubleiben, um das Leistungsniveau zu halten. Wichtig ist, dass der Besitzer auch mal mit einem Lernstand zufrieden ist und nur Ziele anstrebt, die seinen Fähigkeiten und denen seines Pferdes entsprechen.

3. Gibt es Unterschiede in der Ausbildung für den Feldtest und in der für eine weiterführende Ausbildung (Turnierpferd)?

Für eine fundierte Grundausbildung sollte das Pferd ein halbes Jahr im NPZ bleiben. Das ist aber meistens eine finanzielle Frage. Ein Pferd, das für den Feldtest ausgebildet werden soll, muss mindestens sechs Wochen bleiben. Schwerpunkt der Ausbildung ist, dass das Pferd an den Straßenverkehr gewöhnt wird. Nach den sechs Wochen hat das Pferd einen guten Start in die Fahrausbildung gehabt, für ein wirklich eingefahrenes Pferd muss mehr Aufwand betrieben werden.

4. Fahren Sie zu Beginn der Ausbildung lieber ein- oder zweispännig? 

Wir fahren die Pferde als Erstes zweispännig ein. Diese Vorgehensweise ist für das Pferd einfacher, da es die Pferdenatur berücksichtigt. Das Pferd ist ein Herdentier und orientiert sich an anderen Pferden. Unserer Erfahrung nach ist es langfristig für das Pferd sehr gut, wenn es zu Beginn der Fahrausbildung lange Zweispännig gefahren wurde. Es zeigte sich, dass die Lernergebnisse nachhaltiger waren. Das zweispännige Einfahren bedingt aber auch, dass man über einen sehr guten Schulmeister verfügt.

5. Mit welchen Anzeichen kündigen sich zukünftige Probleme beim Fahren an? 

Wichtig ist das routinierte Beobachten des Pferdes. Bei schwierigen Situationen sollte auch der Mensch nicht ängstlich sein, weil das Pferd dadurch noch mehr verunsichert wird. Beim täglichen Handling mit dem Pferd stellt man Auffälligkeiten fest. Beispielsweise geht das Pferd in Verteidigung oder man bemerkt, dass die zur Verfügung stehenden Mittel nicht mehr ausreichen. Spätestens wenn ein Pferd vor der Kutsche nicht mehr stehen will oder sich nicht mehr leicht regulieren lässt, sollte ein Fachmann einbezogen werden.

6. Wie würden Sie die Ausbildung für ihr Pferd angehen?

 Ich muss mir darüber im Klaren sein, was ich mit dem Pferd erreichen will, wie ich es für mich einstellen will. Ich setze mir Ziele. Der Aufbau der Ausbildung ist identisch zur Ausbildung im NPZ. In der Ausbildung meiner Pferde kann ich mir mehr Zeit einräumen. Die Ausbildung dauert je nach Pferd unterschiedlich lange.

7. Was sind die Vorteile für ein Freizeitpferd, wenn das Pferd auch gefahren ist? 

Das Fahren ist immer ein Charaktertest. Das Pferd wird eingeengt und muss sich fügen. Es lernt äußere Einflüsse zu akzeptieren und es lernt, dass es sich nicht entziehen kann. Wir bekommen im NPZ Pferde verschiedener Rassen zum Einfahren, die dann später nicht unbedingt mehr gefahren werden. Diese Lernen während des Prozesses des Einfahrens, den Straßenverkehr zu tolerieren. Dies trägt zur Verkehrssicherheit bei.

8. Gibt es Unterschiede im Verhalten von Stuten, Wallachen und Hengsten? 

Wallache sind in der Regel etwas ausgeglichener. Stuten sind sensibler aber auch leistungsbereiter. Diese Leistungsbereitschaft sollte aber nicht in Übereifer ausarten, denn dann wird’s schwierig. Stuten, die nicht zum Fahren geeignet sind, sind aus meiner persönlichen Sicht auch nicht zur Zucht geeignet. Die Akzeptanz des Hintergeschirrs, der Schere und der Deichsel führt bei einigen Stuten zu Schwierigkeiten. Diese Stuten wehren sich durch Ausschlagen und urinieren. Wenn diese Verhaltensweise während der Ausbildung auftrit muss mit langanhaltenden Schwierigkeiten gerechnet werden. Dieses Verhalten hat aber nichts mit der Thematik der Wildrossigkeit zu tun.

9. Soll das Pferd erst unter dem Sattel oder erst am Wagen beigezäumt werden? 

Der Zeitfaktor der Züchterseite spielt bei den Ausbildungsschwerpunkten eine Rolle. Wünschenswert kann es schon sein, am Feldtest ein Pferd zu zeigen, dass den Kopf still hält, über den Rücken gearbeitet wird und sich lenken lässt. Die Frage ist, wie weit ich das treibe. Man muss ein Gefühl dafür haben, wann welcher Ausbildungsschritt angebracht ist, um das Pferd nicht zu unter- oder überfordern.

10. Soll das Pferd zuerst eingeritten oder eingefahren werden? 

Im NPZ machen wir beides.

11. Muss ein gutes Fahrpferd auch reiterlich gefördert werden? Worauf muss ein Reiter achten, um das Pferd fürs Fahren zu fördern? Wie möchten Sie ihre Fahrpferde reiterlich gefördert wissen?

Wenn ein Freiberger noch nichts gemacht hat, dann fahren wir ihn zuerst. Bei den Warmblütern sind viele schon geritten, wenn sie zum Einfahren kommen. Für uns als Fahrer bringt das Vorteile, da die Pferde bereits ans Gebiss gewöhnt sind und dieses gut annehmen. Die Reiter empfinden es umgekehrt auch als Vorteil, wenn die Pferde bereits eingefahren sind. Die Pferde haben schon gelernt sich zu fügen und haben den Straßenverkehr kennen und tolerieren gelernt.

Je älter das Pferd ist und je weiter das Pferd ausgebildet ist, umso wichtiger ist es, dass das Pferd im richtigen Moment mit dem Passenden gearbeitet wird. Kurze Sequenzen sind sinnvoller als das Pferd stundenlang im Kreis laufen zu lassen oder Routinen abzuspulen. Auch sollte das Pferd richtig arbeiten, den Kopf still halten und nicht nur körperlich ermüdet werden.

12. Wie würden Sie ein Pferd arbeiten, das keinen Schub aus der Hinterhand bringt?

Das Pferd sollte einspännig korrigiert werden. Grundsätzlich sollte man zwischen ein- und zweispännig ein bisschen variieren. Viele merken nicht, wann ein Pferd arbeitet und wann nicht. Zudem müssen die rassenspezifischen Voraussetzungen der Pferde berücksichtigt werden (Körperstruktur, Gang, genetischer Ursprung).

13. Wann ist ein Pferd gut gearbeitet?

Das Pferd muss sich anbieten. Die regelmäßige und pferdegerechte Arbeit ist wichtig. Die Grundprinzipien sind immer die Gleichen, egal welches Pferd ich habe. Es muss gewisse Dinge akzeptieren. Er sollte auf simple Hilfengebung reagieren. Ein Pferd muss Anhalten und Stehen können und gleichzeitig erkennen, wann Arbeiten gefragt wird. In der Arbeitsphase soll es dann aber auch richtig arbeiten. Es muss sich leicht lenken lassen. Das ist der Boden und der Start zu vielleicht mehr.

14. Ist ein gut gefahrenes Pferd auch ein gut gerittenes Pferd? 

Je höher das Niveau beim Fahren wird, desto mehr werden die Pferde unter dem Sattel gearbeitet. Bei der Arbeit unter dem Sattel kann das Pferd gut aufgerichtet und in Selbsthaltung gebracht werden. Die Muskulatur, die auch beim Fahren benötigt wird, kann optimal aufgebaut werden.  

15. Nach welchen Kriterien suchen Sie für sich ein Pferd aus? 

Bei einer ersten Besichtigung kann ich als Interessent die Grunderziehung auf jeden Fall überprüfen (Hufe aufhalten, Führen, allgemeines Handling). Vorab sollte ich mir als zukünftiger Pferdebesitzer über meine persönlichen Bedürfnisse bewusst sein. Daraus resultierend entwickle ich Kriterien zur Auswahl: Gesundheit, Charakter, ist das Pferd auch im Straßenverkehr gut ausgebildet? Wenn ich in der Lage bin, das Potential eines Pferdes und die eigenen Fähigkeiten einzuschätzen, bekomme ich ein erstes Bild von den gemeinsamen Möglichkeiten.

16. Wie stellen Sie fest, ob das Pferd, den fürs Fahren geeigneten Charakter hat? 

Entweder kann ich das selber gut einschätzen und beurteilen oder ich beziehe eine Fachperson mit ein. Auf jeden Fall sollte eine Probezeit vereinbart werden.

17. Gibt es Tricks, die Sie anwenden können, um den Charakter zu testen oder merken Sie das erst in der Ausbildung?

Im Vordergrund sollte nicht nur der Charakter des Pferdes stehen sondern auch die Überlegungen über mich als Pferdebesitzer: was brauche ich noch an Ausbildung, um mit meinem Pferd und dessen Voraussetzungen umgehen zu können? Welche Ziele setze ich mir und meinem Pferd? Erst dann kann ich eine Kaufentscheidung treffen, so dass ich als Pferdebesitzer gut mit meinem Pferd und dessen Charakter klar komme.

Interview wurde im August 2009 von Tanja Kernen und Barbara Heim geführt.

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