November 2007
Der Freiberger, das Zuchtziel einer Schweizer Pferderasse.
Die Zucht wird bestimmt durch ihre Zuchtziele. Diese Zuchtziele definieren sich über den Verwendungszweck und die dafür benötigten Eigenschaften die das Zuchtprodukt mitbringen muß. Ein Pferd das im Ackerbau verwendet werden soll, ist sicherlich züchterisch anders ausgerichtet als ein Pferd, dass außerdem noch im Dressurviereck eine gute Figur machen soll. Eine Zucht wird daran gemessen, ob die Zuchtergebnisse und die Zuchtziele möglichst deckungsgleich sind.
Gesundheit, Ausdauer, Korrektheit, Robustheit und Gangqualität sind Grundanforderungen, die früher genauso wie heute gefordert sind. Diese ändern sich also nicht mit dem Verwendungszweck. Variabel sind aber die Schwerpunkte. Die Frage stellt sich, wie der Züchter diese Grundeigenschaften, in Kombination mit den heutigen Schwerpunkten, züchten und somit die Rasse erhalten kann.
Früher wie auch heute werden dazu Zuchtziele und Aussagen zur Erhaltung einer Pferderasse gemacht. Zur Bewertung und Beurteilung eines Pferdes wurden die Kriterien in drei Bereiche aufgeteilt.
Früher:
Der Typ
"Während wir beim Hengst das Ungestüme, die Kraft und das feurige Temperament schätzen, soll die Stute ruhig und fromm, zutraulich und freundlich sein. Solche Muttertiere geben auf die Jungen acht, säugen gut und bringen gesunde Fohlen. Ferner verlangen wir, dass die Stute breit und tiefgewachsen ist, ein breites Becken, eine kräftige Lende, überhaupt einen soliden Rücken aufweist. Der Körper soll einen breiten und tiefen Kasten bilden, der Entwicklung des Fötus garantiert. Nur keine hochbeinigen Stuten, Senkrücken bei jungen Stuten ist sehr verpönt." (Schweizer Pferdebuch 1944, der bäuerliche Pferdezuchtbetrieb, Dr. E. Hirt, Bezirkarzt, Brugg)
Der Gang und das Fundament
"Gerade so wichtig wie der Rumpf sind der Gang und die Beine eines Zuchtpferdes. Der Lebenszweck eines Pferdes besteht in der Fähigkeit zu arbeiten, zu ziehen, und zu züchten. Für diese Zwecke ist es klar das die Gliedmassen und deren Funktion, der Gang, in allererster Linie ausschlaggebend sind. Stuten mit engen Fesseln, mit unregelmässigen Stellungen und Gängen, besonders mit zehenweiter Stellung vorn, kuhhässiger Stellung hinten, sind von der Zucht auszuschliessen. Sie sind in der Regel auch unwirtschaftlich. Auf eine gewisse Entwicklung der Röhre (Vorderbein) ist stehts zu achten." (Schweizer Pferdebuch 1944, der bäuerliche Pferdezuchtbetrieb, Dr. E. Hirt, Bezirkarzt, Brugg)
Heute:
Art. 2 Das Zuchtziel und seine Definition
1 Zuchtziel
""Gezüchtet wird ein ausdrucksvolles, rassetypisches, mittelrahmiges, korrektes,leistungsstarkes, umgängliches und marktgerechtes Pferd im mittelschweren Typ mitschwungvollen, elastischen, korrekten Bewegungen und trittsicheren Gängen. Aufgrund seines hervorragenden Charakters, seiner Leistungsbereitschaft, Fahr- und Reiteignung sowie Fruchtbarkeit, Robustheit, Frühreife und Leichtfuttrigkeit soll es ein typisches Fahr- und Reitpferd für Freizeit, Landwirtschaft und Armee sein."" „Zuchtziel und seine Definitionen“-> ausführliche Fassung siehe Schweizerischer Freibergerzuchtverband > Zuchtsystem > Zuchtprogramm (als PDF-Dokument)
Die Hauptschwierigkeit ist Heute die Anforderungen an die Pferderasse mit den Grundanforderungen in Einklang zu bringen. Ziel sollte es sein die Gesundheit und „Robustheit“ der Rasse zu erhalten und dem heutigen Pferd Eigenschaften mitzugeben, die den gestellten Anforderungen ans Pferd gerecht werden. Es kann nicht das Ziel der heutigen Zucht sein neben den gewünschten Eigenschaften vorbeizuzüchten. Diese gewünschten Eigenschaften sind sicherlich heute nicht die Gleichen wie früher.
Die Zucht bewegt sich zwischen der Erhaltung eines früheren Ideals, das dem damaligen Verwendungszweck diente und den Ansprüchen des heutigen Marktes. Die Erhaltung des ursprünglichen Typs und der Anpassung an die heutigen Anforderungen in Einklang zu bringen, fordert eine Veränderung des Schwerpunktes und Tolerierung eines breiteren Spektrums. Es braucht beide Pferdetypen. Das Zuchtergebnis bzw. Zuchtprodukt sollte definierte Voraussetzung mit sich bringen, die sich innerhalb der Grundanforderungen bewegen. Um die heutigen bzw. die eigenen Ansprüche an die Zuchtprodukte zu definieren, muss der Züchter sich in Kenntnis setzen, wie sich die Zucht zusammengesetzt hat und welche Voraussetzungen früher für die Zucht gegeben waren. Ein Züchter, der nicht in die Vergangenheit schweift und sich nicht informiert, welche Pferde im Pedigree seines Zuchttieres sind, kann nicht gezielt anpaaren.
Zur Ausgangssituation der Freibergerzucht in der Schweiz und geschichtlichen Information:
"Aus der Zeit des Mittelalters sind unserem Lande drei verschiedene Pferderassen überliefert worden: die Erlenbacher, die Einsiedler und die Freiberger. Die erstern zwei Rassen besassen im 17. und 18. Jahrhundert einen derart guten Ruf, dass viele Pferde zu lohnenden Preisen nach dem Auslande verkauft werden konnten. Erlenbacher und Einsiedler waren sogenannte Halbblutpferde und daher sonders als Reit- und Karossierpferde beliebt, weniger eigneten sie sich für landwirtschaftliche Arbeiten Durch den Bau von Eisenbahnen blieb der Verkauf nach dem Auslande (hauptsächlich Italien) aus, billige Pferde wurden sogar von Frankreich, England und Ungarn in unser Land eingeführt, weshalb die Zucht unserer Pferderassen unrentabel wurde. An Stelle der Pferdezucht trat im Simmenthal und im Kanton Schwyz die lohnende Rindviehzucht, und die einst berühmten Erlenbacher und Einsiedler Pferde gelten heute als annähernd ausgestorben."
"Das Freiberger oder Jurapferd überstand die Krisis dank seinen vorzüglichen Eigenschaften als ausdauerndes, zähes und genügsames Zugpferd. Wohl haften im noch grobe Fehler an wie gesenkter Rücken, abgezogene und gespaltenen Kruppe, krumme Beine und flache Hufe. Allmählich fand sich auch der richtige Weg zur Verbesserung des Jurapferdes. Die Züchter in den Freibergen gingen nach einer ziellosen Periode der Kreuzungszucht wieder mehr zur Reinzucht über und verzeichneten an dem alljährlich in Saignelégier stattfindenden Ausstellungsmarkt erfreuliche Fortschritte. Neben dem ursprünglichen, etwas leichteren Pferde ist nun, einem vielseitigen Bedürfnis entsprechend, ein ziemlich schwerer Schlag herangezüchtet worden.. Die Zucht des Zugpferdes wird namentlich auch durch die Pferdezuchtgenossenschaften gefördert, durch deren Unterstützung ist das Stammzuchtbuch für das Zugpferd geschaffen worden. Das Zuchtziel will ein starkknochiges, tiefgewachsenes, gängiges Pferd, verbunden mit der altbekannten Genügsamkeit und Robustheit, ein Zugpferd für die Landwirtschaft und die Armee"! (Praktische Tierkunde für die Landwirtschaft, Hans Gfeller, Langnau im Emmenthal, Buchdruckerei Emmenthaler Blatt, 1943)
Damals war der Schwerpunkt der Zucht nicht Reitpferde zu züchten sondern Arbeitstiere, die ausschliesslich für den Zug geeignet waren. Nach dem Krieg war der Freiberger als Arbeitstier sehr willkommen. Um die schwere Arbeit bewältigen zu können, musste der Freiberger so konzipiert sein, wie es das Zuchtziel damals beschreibt. Das Reiten der Pferde geriet völlig in den Hintergrund. Dieser Artikel von 1943 zeigt auf, dass schon jeher bei der Zucht die momentanen Einsatzmöglichkeiten des Freibergers im Vordergrund stand. Der Freiberger ist kein Schweizer Przewalskipferd. Der Freiberger ist ein Zuchtprodukt. Zuchtziel sollte sein, eine Vielfalt zu behalten. Es braucht wie die Geschichte zeigt Kreuzungsprodukte zur Verfeinerung daneben die Erhaltung der Robustheit durch den beschriebenen schwereren Schlag. In der Freibergerzucht braucht es beide Typen, um den Freiberger wie ursprünglich gedacht zu erhalten. Das Basispferd entspricht nicht nur dem schwereren Schlag sondern erwiesenermaßen beiden Kreuzungstypen. Kreuzungstypen deshalb, weil der Freiberger seinen Ursprung in mehreren Kreuzungen hat.
Das Züchten
"Züchten im engeren Sinne des Wortes heisst verbessern von gutem Zuchtmaterial und das schlechte ausmerzen. Wohl jeder Bauer strebt in seiner Tierzüchtung nach leistungsfähigen Tieren oder sucht wenigstens bisher Erreichtes beizubehalten." Praktische Tierkunde für die Landwirtschaft, Hans Gfeller, Langnau im Emmenthal, Buchdruckerei Emmenthaler Blatt, 1943
Diese Aussage beschreibt prägnant was Zucht, unabhängig der Epochen, bedeutet. Zucht dient dazu eine Rasse den Zuchtzielen entsprechend zu verbessern. Wie die Geschichte des Freibergers zeigt, ändern sich die Bedürfnisse der Menschen stetig. Daraus resultiert auch eine stetige Anpassung der Anforderungen an eine Rasse. Dazu kommt, dass die Zuchtziele verschieden ausgelegt werden können und sich zum Teil nicht mit den Bedürfnissen des Pferdebesitzers bzw. Käufers vollständig decken.
Schlussendlich geht es in der Zucht nicht nur, um die Erhaltung einer Rasse sondern auch um den Verkauf eines Produktes. Das Produkt kann aber nur verkauft werden, wenn es den Bedürfnissen des Käufers entspricht. Diesen Schwierigkeiten mussten sich die Züchter aller Epochen stellen.
"Eine planmässige Tierzucht arbeitet auf ein bestimmtes Ziel hin." Praktische Tierkunde für die Landwirtschaft, Hans Gfeller, Langnau im Emmenthal, Buchdruckerei Emmenthaler Blatt, 1943
Die Zucht heute gibt auch Ziele vor, die durch die Exterieurbeurteilung und einem Leistungstest (Feldtest) kontrolliert werden. Sicherlich ist es wichtig Ziele zu formulieren und diese auch zu kontrollieren. Dabei sollte aber die bisherigen Erkenntnisse beigezogen und in der heutigen Zeit ein bereites Spektrum angeboten werden können.
In der Zucht heute besteht die Gefahr der Papierzucht durch die Konzentration auf wenige Linien. Durch das hervorheben weniger Linien besteht die Gefahr einer hohen Inzuchtrate und fehlenden Vielfalt. Erhaltenswerte Linien werden gefördert, andere Linien geraten ins Abseits, später werden diese Linien wieder als erhaltenswert eingestuft werden müssen. Dabei entsteht eine Feuerlöschzucht und nicht eine zielorientierte, ganzheitliche Zucht.
Was sollte Zucht heute sein? Ein Zusammenspiel von beiden Pferdetypen mit einer klaren Zielformulierung die realistisch formuliert wurde. Mutterlinien sollte mehr Beachtung geschenkt und deren Dokumentation der Öffentlichkeit leichter zugänglich gemacht werden.
Um ein Zuchtprodukt beurteilen zu können müssen die Stärken und Schwächen von Vater und Mutter erkannt werden. Eine Schwierigkeit dabei ist, dass heute neben der Exterieurbeurteilung auch andere Voraussetzungen wie, Rittigkeit, Kooperationsbereitschaft, Wesensart, Leistungsbereitschaft, Takt aber auch Schwung, gefragt sind. Ausserdem werden Nachzuchten bestimmter väterlicher Linien anders punktiert als gleiche Abstammung in der Mutterlinie. Durch die wenig transparente Beurteilung werden Vorurteile geschürt und eine Vernetzung bzw. ein Zusammenhalt der ganzen Freibergerzucht, der Züchter und der Linien, verhindert.
Tanja Kernen
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