Auf der Suche nach Mr. Right
Meine Antwort auf den Artikel der Journalistin Anne Hansen von Cavallo
Sie haben sich also entschlossen, ein eigenes Pferd anzuschaffen? Herzlichen Glückwunsch! Jetzt gehen Sie auf die Suche nach Mr. Right? Viel Glück! Dass das nicht ganz einfach ist, haben Sie ja inzwischen selbst schon festgestellt.
Wie Sie schon ganz richtig feststellten, ist alleine die Frage, welche Rasse in Frage kommt, schon eine Wissenschaft für sich. Natürlich muss man sich über die Eigenschaften der einzelnen Rassen informieren. Dabei sollte man sich aber nicht auf die Aussage von Büchern oder Zuchtverbänden verlassen. Erfahrungsgemäß empfehlen alle Zuchtverbände ihre Pferde auch als Freizeit- und Kinderpferde. Wo sollen sie auch sonst hin mit dem Überschuss, der es nicht in den Sport geschafft hat? Gehen Sie Reiten! Reiten Sie bei Züchtern, in Reitställen, bei Bekannten. Wenn Sie vier Fjordpferde und drei Welshcobs geritten haben, können Sie vielleicht einen Vergleich anstellen.
Was ich in Ihren Überlegungen vermisse ist die Frage, was Sie selbst an Fähigkeiten mitbringen, denn das ist von entscheidender Bedeutung für die Auswahl des eignen Pferdes. Sich selbst realistisch einzuschätzen ist gar nicht so einfach. Abgesehen von den eigenen Fähigkeiten sollte man sich auch über die Schwerpunkte der zukünftigen Aktivitäten im Klaren sein. Schwärmt man für Spezialgangarten oder für bestimmte Reitrichtungen, bringt man selbst schon große Fähigkeiten mit oder möchte gar an Wettkämpfen teilnehmen, ist die Frage nach der Rasse oft schnell beantwortet. Ein Westernreiter mit Anspruch wird sich für Quarterhorses begeistern, jemand mit Interesse für den Dressursport kommt sicherlich nicht an einem Warmblut vorbei. Wenn man sich ein Pferd zulegt, das für den Sport gezüchtet wurde, bekommt man in der Regel auch ein Pferd mit genügend Energie und Anspruch, selbst dann, wenn die Spezialleistungen des einzelnen Kandidaten nicht für eine große sportliche Karriere ausreichen. Dem muss man auch gewachsen sein. Sicherlich ist ein Pferd mit enormer Gangmechanik im Freilauf wunderschön anzusehen, aber sind Sie sicher, dass Sie diese Gänge auch sitzen können, oder werden Sie Angst bekommen, wenn dieses Pferd statt zu zucken, wenn es sich im Gelände erschreckt, einen Satz von drei Metern macht? Ich habe einige Pferdebesitzer kennengelernt, die aus Prestigegründen Sportpferde mit beeindruckendem Pedigree besitzen, sich aber nach einem Jahr nicht mal mehr trauen um den Pudding zu reiten.
Die große Masse der Reiter ist damit zufrieden, das Pferd zur Gesunderhaltung etwas zu gymnastizieren und schöne Geländeausritte zu unternehmen. Da ist die Auswahl der infrage kommenden Rassen dann schon riesig. Die Frage nach der Größe hilft weiter. Wenn man kein Pferd unter 140 und keins über 160 haben möchte, ist das ebenso ein Anhaltspunkt wie die Überlegung, ob man ein eher runderes Pferd oder ein sehr zierliches bevorzugt.
Wenn man also verschiedene Reitweisen ausprobiert hat und etliche Exemplare der infrage kommenden Rasse geritten hat, erkennt man vielleicht eine Tendenz….
Vielleicht wissen Sie jetzt welche Rassen in Frage kommen. Problem gelöst? Nein! Lassen Sie mich raten: Sie möchten ein Pferd zwischen fünf und acht Jahren. Es muss kerngesund, ohne Untugenden und gut im Umgang sein. Es soll im Gelände sicher und ruhig sein, dabei aber nicht triebig, sondern einen gesunden Vorwärtsdrang haben. In der Bahn sollte es zumindest in allen drei Gangarten sicher und kontrollierbar sein. Natürlich sollte es auch noch attraktiv aussehen, das gewisse „Etwas“ haben. Soll ich Ihnen etwas verraten? Sie sind nicht alleine, jeder potentielle Pferdekäufer sucht dieses Pferd. Wenn Sie so ein Pferd hätten würden Sie es verkaufen????
Die gute Nachricht ist, dass es solche Pferde gibt, bei denen Sie vielleicht nur wenige Zugeständnisse machen müssen. Die schlechte ist, Sie werden Ihnen erst angeboten, wenn sie schon ein Pferd haben. Dann wenden sich Pferdebesitzer an Sie, die ihr Pferd nicht darum verkaufen, weil sie Probleme mit ihrem Pferd haben.
Ich hoffe, Sie sind ebenso perfekt wie das Pferd, das Sie sich wünschen. Sie sitzen immer ausbalanciert, setzten die Hilfen angemessen aber konsequent ein, damit das Pferd weiß woran es ist, sie wissen immer was zu tun ist und können Ihrem Pferd tiergerecht erklären, was sie von ihm wollen, werden nie ungeduldig oder unsicher. Sie sorgen für eine absolut artgerechte Haltung und nette Pferdegesellschaft. Sie sorgen immer für gut sitzenden Sattel und Gebiss, sparen nie am Tierarzt oder am Hufschmied.
Das klingt anstrengend? Das ist nicht annähernd so anstrengend wie das, was auf Sie zukommt, wenn Sie wirklich ein Pferd gekauft haben.
Lassen Sie mich es einmal so erklären: Nehmen wir an, Sie hätten in der Vergangenheit regelmäßig Kinder gesittet. Sie haben die Kinder abgeholt, sind mit ihnen in den Zoo gegangen oder auf den Spielplatz. Oder Sie sind abends ins Haus gekommen, haben die Kinder ins Bett gebracht und sich dann vor den Fernseher gesetzt. Was auch immer, jedenfalls sind Sie irgendwann wieder nach Hause gegangen. Vielleicht haben Sie gedacht, was für nette Kinder das sind und dass sie später auch Kinder haben wollen. Oder Sie haben gedacht, dass Ihre Kinder besser erzogen sein werden. Denken Sie, dass der Babysitterjob Sie darauf vorbereitet hat, eigene Kinder zu erziehen? Nein?….Gut dann wissen Sie auch, dass alle Reitstunden, die sie bisher hatten, Sie nicht darauf vorbereiten konnten, ein eigenes Pferd zu besitzen, denn Sie sind irgendwann nach Hause gefahren und mussten sich nicht überlegen, wie Sie das Pferd besser erziehen können oder welchen Tierarzt sie noch anrufen könnten, weil das Pferd immer noch so komisch läuft.
Wenn Sie ein echter Pferdemensch sein wollen, werden auch Sie lernen müssen. Sie müssen lernen zu verstehen, wie Pferde im Allgemeinen lernen und Ihres im Speziellen. Sie werden sich Gedanken machen, wie Sie ein Lernziel in Lernschritte gliedern können, damit ihr Pferd Sie verstehen kann. Sie werden überlegen, warum Ihr Pferd auf eine Situation plötzlich ganz anders reagiert als sonst und Lösungen dafür finden müssen. Sie werden eine Menge über Tiermedizin, die verschiedenen Reitstile und Pferdefütterung lernen. Sie werden noch mehr über sich selbst lernen, vielleicht mehr als Sie je wissen wollten. Sie werden auch eine Menge über andere Menschen lernen., vielleicht auch da mehr als Sie wollten. Sie werden Lehrer und Schüler sein.
Sie haben sicherlich auch genau geplant, wie viel Zeit Sie in Ihr Pferd investieren werden. Vergessen Sie diesen Plan. Oder haben Sie eingeplant, dass Sie manchmal tagelang darüber nachdenken, wie Sie Ihrem Pferd etwas begreiflich machen können? Sicherlich möchten Sie am heiligen Abend mit Ihren Kindern unterm Tannenbaum sitzen? Vergessen Sie auch das, denn Ihr Tierarzt erwartet ihre Anwesenheit, wenn er es am 24. Dezember um 19.00 Uhr noch in den Stall geschafft hat, um Ihr Pferd zu nähen….
Haben Sie auch die Zeit eingeplant, die Sie für die Recherche im Internet benötigen, um Informationen über bestimmte Futtermittel, Lehrgänge oder medizinische Behandlungen zu bekommen?
Wenn Sie jetzt keine Lust mehr haben, sich ein eigenes Pferd anzuschaffen, lassen Sie es wirklich besser sein. Wenn Sie sich aber auf die Herausforderung freuen, wenn Sie wirklich wissen wollen, wie Sie selbst sind, und wenn Sie an sich arbeiten möchten, wenn Sie an Ihre Grenzen kommen und diese überwinden wollen, dann kaufen Sie sich ein Pferd. Halten Sie durch!
Wenn Sie das alles bejahen können, bekommen Sie wunderschöne Ausritte in der Natur, den atemberaubenden Anblick purer Lebensfreude und sanfte Nüstern in ihrem Gesicht.
Sie bekommen Respekt und Anerkennung und die ehrliche Zuneigung eines unbestechlichen Partners, schlicht die Liebe ihres Lebens.
Barbara Heim 12.05.2011
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