Die Zweiklassengesellschaft in der Freibergerzucht
Noch vor 10 Jahren, im Jahr 2003, als ich mein erstes Freiberger Pferd kaufte, hatte diese Rasse den Ruf besonders familientauglich zu sein. Im Vordergrund der Vermarktung stand der gute Charakter, der per Feldtest von jedem 3-jährigen Pferd bewiesen werden sollte. Auch wir kauften damals einen Freiberger für einen Therapieverein, weil uns diese Rasse als besonders geeignet für die Reittherapie empfohlen wurde. Diese Vermarktungsstrategie basierte auf der verpflichtenden Teilnahme am Feldtestes, in den ein sogenannter Charaktertest integriert war. Dieses Marketing hatte große Erfolge, da sie dem zukünftigen Besitzer das Gefühl gab ein Pferd zu erwerben, das den guten Charakter schriftlich bescheinigt bekam. Die Zielgruppe dieser Strategie war der Freizeitreiter. In der Natur der Sache liegt es, dass der durchschnittliche Freizeitreiter in seinem gesamten Leben eine sehr begrenzte Anzahl von Pferden kauft und im Gegensatz zum Profi nicht viel Erfahrung damit hat ein Pferd einzuschätzen. Genau dort traf der Charaktertest den Nerv der Zielgruppe. Der Wachstumsmarkt der Freizeitreiter (90er Jahre) wurde so erfolgreich erschlossen
Während im Jahr 1950 noch 1,5 Mio Pferde in Deutschland gehalten wurden (Anteil der Kaltblutrassen ca. 59%) sank die Population bis 1970 auf 250.000 Tiere.
„Laut Hochrechnungen u.a. des Statistischen Bundesamts, der Versicherungen, Tierseuchenkassen u.a. leben in Deutschland rund 1 Million Pferde und Ponys. Damit hat sich die Pferdepopulation in Deutschland in den vergangenen 40 Jahren etwa vervierfacht. (Quelle: Deutsche Reiterliche Vereinigung http://www.pferd-aktuell.de/fn/zahlen--fakten/zahlen--fakten)
Die Jahre des großen Wachstums sind in der Pferdebranche vorbei. Auch wenn sich mit der Entwicklung einer gutbetuchten Oberschicht in Russland und Asien neue Märkte für Sportpferde erschlossen haben, reicht dieses spezifische Marktsegment nicht um die Auswirkungen der Wirtschaftskrisen der letzten Jahre auszugleichen. Vom Jahr 2000 bis 2010 ist die Population bereits rückläufig. (Quelle: Bundesamt für Ernährung und Landwirtschaft http://buel.bmel.de/index.php/buel/article/view/Brade/brade-html )
Der schwindende Absatz wird zwangsläufig zu einer Marktbereinigung führen. Ich stelle mir die Frage wie der Markt sich bereinigen wird und ob dieses am einzelnen Pferd oder nicht viel mehr an den Züchtern und den zugehörigen Verbänden festzumachen sein wird und welche Hindernisse, aber auch welche Möglichkeiten und Perspektiven sich den Freibergerzüchtern bieten.
Auf der einen Seite verfolgen die Züchter weiterhin die Strategie die durch den Charaktertest (jetzt Verhaltenstest) festgelegt wurde. Sie versuchen ein gesundes und gut ausgebildetes Pferd ab Feldtest zu verkaufen. Die Züchterschaft hat sich den Herausforderungen des Feldtest gestellt und präsentieren ihre Nachzucht immer professioneller. Das Niveau des Reittests und ebenso das Niveau des Fahrtests, ist in den letzten 15 Jahren permanent gestiegen. Auch darum weil die dreijährigen immer öfter von Profis vorgestellt werden. So mancher Züchter kann bei dieser Entwicklung aber nicht mehr mithalten. Ein junges Pferd selber einzufahren und einzureiten und auf dem Feldtest gegen die Profis zu konkurrieren, ist für viele nicht mehr möglich. Das hat den Dienstleistern rund um den Feldtest sicherlich ein wenn auch begrenztes, so doch jährlich wiederkehrendes Einkommen beschert. Konsequenz ist jedoch auch, dass Züchter die ihre Pferde zur Ausbildung weggeben müssen, kaum noch an ihrer Zucht verdienen können.
Die zweite Strategie in der Freibergerzucht bezieht sich darauf, die Pferde bereits als Absetzer zu verkaufen. Damit fällt der langwierige, kostenträchtige und risikoreiche Prozess der Aufzucht und Ausbildung für den Züchter weg. In der Vergangenheit orientierte sich der potentielle Käufer dabei, an der Punktierung und Beurteilung an den Fohlenschauen. Das Urteil der Richter war verlässlich, gut punktierte Fohlen waren daher sehr gut zu verkaufen. Fohlen die nicht gut punktiert wurden, wurden nicht aufgezogen sondern geschlachtet. Die aussortierten Fohlen wurden gleich nach der Fohlenschau verladen und anschließend zum Schlachter gefahren. Die unschönen Bilder die mit den Fohlenschauen im Herbst einhergingen gehören schon lange der Vergangenheit an.
Heute wird der Markt zu einem großen Teil von den Schlachtfohlenrettungen bestimmt. Das trägt dazu bei, dass eine Selektion eigentlich nicht mehr stattfinden kann. Den Tierschützern geht es allerdings auch nicht um den Fortbestand oder die Weiterentwicklung einer ganzen Rasse, sondern um die Rettung eines Individuums. Manche Funktionäre sehen das anders. Ihrer Meinung nach findet die Selektion dadurch statt, dass ein Großteil der Schlachttiere ins Ausland verkauft wird. Die guten Tiere bleiben so in der Schweiz, die schlechten gehen ins Ausland. Dabei unterschätzt man, dass schlechte Qualität immer auf den Verkäufer bzw. auf die Rasse zurückfällt. Überhaupt unterschätzt man den Sachverstand der Kunden im Ausland, auch wenn man bei den Fohlenrettern vielleicht noch so manch fragwürdigen Absetzer loswerden kann, könnte sich diese Vorgehensweise insgesamt und gerade in Fachkreisen langfristig als Bumerang erweisen. Immerhin hat sich trotz des Exportes von "schlechtem Material" durch die Schlachtfohlen, das Niveau der Zucht vor allem in Deutschland und Frankreich enorm gesteigert. Gerade bei den Zuchtstuten ist die Qualität sehr gestiegen. Hinzu kommen die im Vergleich günstigeren Aufzuchtkosten durch größere landwirtschaftliche Flächen.
Den Ruf des Freibergers als Billigprodukt hat sich die Branche damit selber zuzuschreiben. Die sich ständig ändernde Umsetzung der Rassestandards durch den Verband, die oft nicht nachzuvollziehenden Punktierungen in den Genossenschaften, die nicht einheitlich Handhabung von Bewertungen durch die Richter und Körung von Hengsten die im Handling nicht dem Standard entsprechen fühen zur Verunsicherung der Züchter und der Kundschaft. Punktierungen korrespondieren nicht mit dem Individuum. Werden da wirklich Pferde beurteilt oder wird die Vernetzung des Züchters/ Besitzers mit den entsprechenden Stellen honoriert? Dabei möchte ich erwähnen dass es durchaus auch Richter gibt, die sich die Mühe machen ihre Bewertungen zu erklären und damit zur Verständigung zwischen Züchtern und Verband beitragen. Bei unverständlichen Bewertungen kommt Frust auf und das hat sicher auch dazu geführt, dass Züchter ihre vielleicht zu Unrecht schlecht punktierten Fohlen über Schlachtfohlenvermittlungen anboten und Kunden sich sicher ebenso oft zu Recht gefragt haben, warum ein gutes Fohlen in die Wurst soll. Allerdings unterscheiden die Schlachtfohlenretter nicht zwischen korrekten Fohlen und solchen die man wirklich besser nicht aufziehen würde.
Spätestens jetzt wo der Markt nicht mehr wächst, sollte sich der Verband und auch jeder Züchter für sich, Gedanken darüber machen wo man sich positionieren will. Wenn ich heute erwähne dass ich Freiberger habe, ist nicht mehr vom guten Charakter und der Vielseitigkeit die Rede, sondern das erste das den Leuten dazu einfällt ist „Schlachtfohlen“. Möchte und kann man sich in die Klasse derer einreihen, die ein hochwertiges Produkt zu einem angemessenen Preis verkaufen, oder sieht man sich in der Billigklasse bei den Schlachtpferden? Billig nicht zwangsläufig wegen des Preises, sondern wegen des eingeschlagenen Weges und des Rufs den man sich damit erwirbt. Denn letztendlich bedeutet die Vermarktung des eigenen Zuchtproduktes als Schlachtfohlen, dass der Züchter nicht an sein Zuchtprodukt glaubt, dass er nicht willens oder nicht in der Lage ist sich mit seinem Zuchtprodukt auseinander zu setzen. Wer an seine Zucht glaubt, investiert in sein Produkt, indem er Wertschöpfung durch Aufzucht und Ausbildung betreibt. Im Umkehrschluss bedeutet es aber auch, dass der Züchter konsequent ist und selektiert. Produkte hinter denen der Züchter nicht stehen kann, darf er nicht verkaufen sondern muss sie schlachten. Es ist naiv anzunehmen dass schlechte Qualität nicht auf die eigene und die gesamte Zucht zurück fällt. Selbst Fehler die später während der Aufzucht durch vielleicht nicht immer fachlich genügend gebildete Fohlenretter entstehen, werden letztendlich dem Verkäufer oder der Rasse angelastet.
Ein Züchter, der seine Produkte auch selber ausbildet, muss seine Zuchtstrategie so ausrichten, dass die Ausbildung für ihn zu bewältigen ist. Und zwar unter Bedingungen, die es ihm ermöglichen einen Gewinn zu erzielen. Das heißt seine Zuchtprodukte müssen möglichst umgänglich, kooperativ und gelehrsam sein, so dass seine Ressourcen genügen und er Knowhow nicht zukaufen muss. Eine Anpaarung die zwar chic und trendy ist, oder von dritten empfohlen wurde, aber keine Pferde hervorbringt die er selber ausbilden und verkaufen kann, ist für diesen Züchter nicht von Nutzen. Da er seine Stutenfamilie selber ausgebildet hat und weiterhin nutzt, kennt er alle Stärken und Schwächen. Er kann gut beurteilen welche Sorte Hengst er braucht um ein Pferd zu züchten, dass er selber ausbilden und nutzen kann. Darum bringt Zucht und Ausbildung aus einer Hand die Zucht voran und könnte in der Zukunft auch weiterhin ein Verkaufsargument sein. Vor allem dann, wenn man das dem Kunden entsprechend kommuniziert. Dabei spielt es meiner Meinung nach keine Rolle ob sich der Züchter am Sport oder der Freizeitreiterei orientiert, ob er den schweren oder den sportlichen Typ bevorzugt. Ein Zweispänner Zuchtstuten mit Fohlen bei Fuß oder Nutzung der Nachzucht in der Landwirtschaft ist meiner Meinung nach genauso faszinierend wie Erfolge im Sport – wenn man dem Kunden das richtig präsentiert. Außerdem kann der Züchter selber beweisen, dass seine Pferde das können, was er versprochen hat. Als Käufer kann ich mich dann selber einschätzen und einen Züchter finden der ähnliche Ansprüche an seine Pferde stellt.
Es reicht nicht mehr aus sich genetisch auf den Freiberger zu berufen. Der Züchter muss sich überlegen wo seine persönlichen Stärken liegen und diese in der Vermarktung als Alleinstellungsmerkmal herausarbeiten. Als Züchter muss ich meine Stärken aber auch meine Schwächen erkennen und mich über sie hinaus weiterentwickeln. Diese Strategie würde auch dazu beitragen den Freiberger nicht nur als Produkt seiner Gene zu betrachten, sondern ihn in seiner Gesamtheit, auch als Produkt seiner Traditionen, seiner Aufzucht und Ausbildung anzuerkennen. Das ist nämlich die Falle in die man durch den Charaktertest getappt ist und die jetzt von denjenigen genutzt wird die ihre Pferde als Schlachtfohlen vermarkten. Freiberger ist nicht gleich Freiberger. Als Käufer muss ich mir bewusst sein, dass ich nicht nur Gene erwerbe, sondern ebenso das Produkt einer Aufzucht und Ausbildung kaufe und dass ich daher einen guten Einblick in die Zucht und Ausbildungsstrategie des Verkäufers haben muss, um wirklich beurteilen zu können was ich bekommen werde. Außerdem muss ich als Kunde wissen was ich brauche, oder mich während des Kaufprozesses damit auseinandersetzen wo ich wirklich stehe. Es ist nicht einfach ein Pferd aufzuziehen und auszubilden, auch dann nicht wenn man ein Freibergerfohlen kauft!
Wie viele Züchter den Weg der Aufzucht und Ausbildung einschlagen können ist fraglich. Um diese Strategie verfolgen zu können muss man Fahren, Reiten und das eigene Konzept verkaufen können. Werden in einem schrumpfenden Markt diejenigen Züchter überleben, die sich durch Können, Engagement und Konsequenz auszeichnen oder die anderen, die den einfachen und lukrativen Weg über die Schlachtfohlenvermarktung einschlagen? Wird der Freiberger immer mehr zum Billigprodukt verkommen oder weiterhin für Qualität stehen? Gerade in den sozialen Netzwerken haben die Schlachtfohlen breite Aufmerksamkeit, offensichtlich werden dort Fohlen sogar per Foto vermittelt, ohne dass der Käufer das Lebewesen Pferd überhaupt „live“ gesehen hat. Dabei sind unterschiedlichste Vermittler der Dreh- und Angelpunkt. Wie tief sich jeder einzelne mit der Rasse beschäftigt hat, ist sicher sehr unterschiedlich, auch inwiefern das einzelne Tier dort realistisch beurteilt wird.
Ich frage mich wie glaubwürdig Züchter sein können, die sich selber nicht mit der Ausbildung ihrer Nachzucht beschäftigen. Wie glaubwürdig sind Züchter die Pferde mit angeblich tollem Charakter und familienfreundlich für den Freizeitmarkt züchten, aber diese gar nicht nutzen oder gar ausbilden? Sollte der Züchter eines Pferdes das bereits 3-jährig seine breite Nutzungsmöglichkeit unter Beweis stellen muss nicht in der Lage sein, sein Pferd selber beim Feldtest vorzustellen, zumindest in einer der Prüfungen? Wie will man sonst dem späteren Kunden gegenüber argumentieren? Die Konsequenzen einer von der Nutzung losgelösten Zuchtstrategie tragen später andere, nämlich Bereiter, Fahrer und der Kunde. In letzter Konsequenz hat die Trennung von Zucht und Nutzung Auswirkungen auf die gesamte Zucht des Freibergers, einer Rasse die sich nicht nur auf Präsentation eines bestimmten Exterieurs, sondern auf die vielfältigen Möglichkeiten der Nutzung gründet.
Eines steht fest: nämlich dass Züchter die ihre Pferde von Profis ausbilden lassen kaum kostendeckend arbeiten können, schon gar nicht, wenn man alle Arbeitsstunden während der Aufzucht realistisch mit anrechnet. Wo ist da die Abgrenzung zur Hobbyzucht? Hobbyzüchter unterliegen nicht den Gesetzmäßigkeiten der Marktwirtschaft. Sie züchten nicht um materielle Wertschöpfung zu betreiben, sondern für immateriellen Gewinn, der durch die Möglichkeit zur Auslebung einer Leidenschaft liegt. Ob diese Züchter bei der Selektion ihrer Zucht so konsequent vorgehen wie in den Betrieben wo man mit Gewinnerzielungsabsichten an die Pferdezucht herangeht ist sicher individuell unterschiedlich ausgeprägt. Das Optimum ist, wenn Leidenschaft mit Können zusammentrifft. Solche Züchter gibt es, der Kunde muss sich aber die Mühe machen herauszufinden was er selber zu bieten hat und wo er ein passendes Pferd bekommen kann, anstatt den manchmal vielleicht nicht wirklich reflektierten Kauf eines Pferdes damit zu rechtfertigen, ein Leben zu retten und später alle daraus resultierenden Probleme auf diesen Umstand zu schieben. Wer ein Schlachtfohlen kauft darf sich später nicht über Mängel beklagen. Das perfekte Pferd gibt es nicht, genauso wenig wie es den perfekten Menschen gibt. Der Unterschied zwischen Pferden, die von der ersten Minute an sorgfältig aufgezogenen, erzogen und ausgebildet wurden und denen, die durch nicht ganz kompetente Hände gegangen sind, ist nämlich wirklich gewaltig.
Barbara Heim für mandoline-fm.de 02.11.2014
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